Wer sich mit Werten beschäftigt, stößt schnell auf die Frage: Woher kommen eigentlich meine eigenen Werte? Werteforscher und Menschenkenner Richard Barrett hat darauf eine überzeugende Antwort: „Whatever you need is what you value“ (zu lesen in seinem Buch „Everything I have Learned About Values“, S. 123). Wir wertschätzen das, dessen wir am meisten bedürfen. Wenn mir etwas fehlt, sei es materieller (Nahrung, Einkommen, Wohnung) oder immaterieller Art (Beziehungen, Anerkennung, Selbstentfaltung), dann erscheint mir genau das besonders erstrebenswert, ich messe dem einen hohen Wert bei.
Meine Bedürfnisse bestimmen also meine Werte, und die wiederum mein Verhalten. Immer wenn wichtige Bedürfnisse gestillt sind (z. B. habe ich einen sicheren Job und eine schöne Wohnung), können sich neue Bedürfnisse auftun und neue Werte wichtig sein. Wenn meine physiologischen Bedürfnisse, meine Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeit gut versorgt sind (nach Maslow die Defizitbedürfnisse) und ich hier keinen Mangel verspüre, kann ich mich anderen Werten zuwenden. Das hat viel mit den Phasen der psychischen Entwicklung zu tun. Erst in der Individuationsphase wachsen wir daraus – vom „Ich“ zum „Wir“.
Überlebensphase (0-2 Jahre)
Anpassungsphase (3-7 Jahre)
Differenzierungsphase (8-24 Jahre)
Individuationsphase (25-29 Jahre)
Selbstverwirklichungsphase (40-49 Jahre)
Integrationsphase (50-59 Jahre)
Phase des Dienens (60+ Jahre)
Weg vom „Ich“, hin zum „wir“
Mit dem Durchlaufen der verschiedenen Bedürfnisstufen und Bewusstseinsebenen geschieht eine spannende Transformation: weg von der Ich-Bezogenheit, hin zu den auf die Gemeinschaft bezogenen Bedürfnissen und Werten. Innerer Zusammenhalt, einen Unterschied machen, dem Gemeinwohl dienen, das tritt mit dem Reifen einer Persönlichkeit in den Vordergrund.
Warum ist das so spannend? Weil dann mein eigenes Handeln nicht mehr durch Glaubenssätze aus der Kindheit bestimmt wird, sondern ich kann es durch meine eigenen Werte steuern. Damit kann ich mich stärker mit anderen verbinden und lebe mehr im Einklang mit mir. So schaue ich z. B. immer, ob meine Entscheidungen auf meine persönlichen Werte Kreativität, Persönliches Wachstum, Unabhängigkeit und Einen Beitrag leisten einzahlen. Erst dann fühle ich mich mit einer Entscheidung wohl.
Die eigenen Werte verorten und leben
Wer wissen will, welche Bedürfnisse und Werte ihn antreiben und auf welchen Ebenen sie angesiedelt sind, der kann den kostenlosen Wertetest PVA (Personal Values Assessment) des Barrett Values Centre machen. Mit der Auswertung gibt es eine Kommentierung plus Anleitung, damit weiterzuarbeiten. Beispielsweise mit der Frage: „Rufen Sie sich einen Moment in Ihrem Leben in Erinnerung, wo Sie diesem Wert wirklich entsprochen haben. Welche Verhaltensweisen haben Sie an den Tag gelegt, die diesen Wert stützten?“. Meine Lieblingsfrage ist: „Wählen Sie die drei wichtigsten Werte aus Ihren 10 Werten anschließend aus und fragen Sie sich, wie Sie diese tagtäglich leben. Und wie würde Ihr Leben aussehen, wenn Sie diese Werte voll und ganz leben?“
Überall auf der Welt sind sich die Menschen ähnlich
Über 500.000 solcher PVAs, durchgeführt von Menschen auf der ganzen Welt, hat Richard Barrett kürzlich ausgewertet. Und siehe da: Die Top 10 Werte sind Familie, Humor/Spaß, Fürsorglichkeit, Respekt, Freundschaft, Vertrauen, Einsatzbereitschaft/Engagement, Begeisterung, Kreativität und Kontinuierliches Lernen. Vier dieser Werte liegen auf der Beziehungsebene, wo es um die eigene Person in Bezug zum sozialen Umfeld geht. Einer liegt auf der Ebene der Transformation, d. h. der Veränderung von der Ich-Perspektive zur Wir-Perspektive. Die restlichen fünf dieser Werte liegen auf der Ebene des Innen Zusammenhalts, mit der Gemeinschaft im Fokus. Mehr „Wir“ als „Ich“, mehr Gemeinschaftsgeist als Egoismus weltweit: Wenn das keine gute Nachricht im Advent ist!
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28. Mai 2021 at 7:50
10. November 2021 at 10:27