Vor kurzem habe ich meine Ausbildung zum „Waldbaden – Der Wald als Medizin“ abgeschlossen. „Shinrin Yoku“ kommt aus Japan und bedeutet so viel wie „Eintauchen in die Waldatmosphäre“. Hier bei uns wird der Begriff mit Waldbaden übersetzt und lässt viele Fragen offen. Deswegen interviewe ich einen Waldbaden-Profi Stefan Alberts zu seinen Erfahrungen.
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Natur war bei dem Werte-Index 2018 auf Platz 1, dieses Jahr ist es Gesundheit. Welchen Wert hat der Wald, die Natur und das Waldbaden für Dich und für die Menschheit?
Dass beides hintereinanderkommt, Natur und Gesundheit, ist für mich gar nicht verwunderlich. Weil beides zwei Seiten einer Medaille sind. Im Grunde geht es ja um die Senkung des Stresslevels und wer in den Wald geht, hat größere Chancen gesund zu sein und das Leben auf eine andere Art zu erfahren. Viele Leute sagen ja „Mensch, da komme ich mal runter“. Und das trifft es tatsächlich. Wenn die Menschen in den Wald gehen, begeben sie sich in eine Umgebung, die artgerecht ist. Im Grunde ist das so etwas wie „artgerechte Haltung“. Denn wir haben uns ja eine Umgebung geschaffen, der wir ja mittlerweile nicht mehr standhalten können. Ich habe letztens beispielsweise noch eine Dokumentation gesehen über Flugzeuge. Die dachten, die könnten die viel schneller bauen, die könnten die auch viel wendiger bauen, aber dann würden das Piloten nicht mehr aushalten. Und so ist das mit vielen Firmen. So ist das in vielen Bereichen geworden. Selbst bei mir im Krankenhaus. Auch da geht es darum, sich nach vorne zu boxen und sich Lebensumstände zu schaffen, die gar nicht mehr zu schaffen sind.
Was ist es für Dich? Diese Natur und das Waldbaden?
Natur für mich ist tatsächlich nach Hause zu kommen. Wenn ich in die Natur gehe, dann fällt alles von mir ab. Da sehe ich die Natur und all die Dinge, die vorher eine große Rolle spielten, spielen im Grunde überhaupt keine Rolle mehr. Im Grunde suchen Leute nach Glück, und da erfahre ich Glück – im Wald. Für mich gibt es zwei Aspekte. Wenn ich jetzt in den Wald gehe und waldbade, mache ich natürlich mit mir gar keine Übung. Für mich sind die Dinge andere, die ich da mache. Ich versuche den Wald auf andere Art und Weise zu begreifen. Herauszufinden, was ist das für ein Vogel. Aber auch ganz einfache Dinge: Jetzt fängt die Pilzsaison wieder an. Ich gehe da tatsächlich mit einer Pfanne in den Wald und brate mir die vor Ort. Und das ist für mich das ultimative Waldbaden – also für mich persönlich. Das ist jetzt nichts, was ich mit den Teilnehmern machen könnte. Ich suche mir da ein kleines Plätzchen und brate mir die Pilze, die ich gefunden habe. Das ist für mich in der Natur zu sein. Oder wenn ich auf meinem Lieblingsplatz sitze und so nach einer halben Stunde vielleicht kommen Tiere dazu. Die gehen ganz unbefangen vor einem her, meistens Mäuse, mal Rehe. Aber das ist ein ganz besonderes Gefühl. Man hat das Gefühl, zuhause zu sein.
Welche Veränderungen nimmst Du in den letzten Monaten dazu wahr? Also jetzt in der Corona-Zeit?
Also eigentlich keine so schönen, muss ich sagen. Man sieht sehr viele Leute im Wald. Was ja erst mal nichts Schlimmes ist, die Wälder sind ja groß. Aber die Leute bringen ihr Verhalten mit in den Wald. Man sieht da Jugendgruppen mit Bollerwagen bewaffnet oder auch viele Mountainbiker, die ganz offensichtlich sonst nicht auf dem Mountainbike sitzen und solche Steigungen fahren. Und man sieht dann förmlich, dass sie das gar nicht können und die Berge hochächzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die abends nach Hause gehen und ein gutes Gefühl haben. Aber ich denke, das wird auch wieder aufhören.
Welchen Effekt hat das Waldbaden – was bemerkst Du an den Patienten, mit denen Du arbeitest?
Oh, das sind ganz wunderbare Effekte! Am deutlichsten spüre ich das, wenn ich mit Leuten aus der Suchtabteilung gehe, die tendenziell mies gelaunt sind. Das ist ja eine ganz unangenehme Erfahrung, die die haben. Die schimpfen über alles Mögliche erst mal. Darüber, dass sie unglücklich wären. Nach 20 Minuten etwa fangen die Gespräche an sich zu verändern. Sie erzählen dann von schönen Dingen, von schönen Erlebnissen – meist in Verbindung mit dem Wald. Die bei vielen ja schon ganz lange zurückliegen. Und das nächste, was noch ist: Sie denken, was alles schlecht läuft und fangen an Gedanken zu entwickeln. Ich denke, das ist ganz besonders wertvoll. Dass die Leute während des Waldbadens anfangen, Gedanken zu entwickeln, nach vorne zu sehen. Und nicht nur denken „Mensch, das ist alles schlecht“. Damit haben sie auch recht, viele Dinge sind ja auch schlecht. Aber sie fangen an, in eine andere Richtung zu gehen, nämlich nach vorne. Wie kann ich mein Leben gestalten? Ich finde das unglaublich wertvoll.
Was hätte jemand davon, wenn er Waldbaden macht?
Ganz erhebliche Vorteile, wenn er sich drauf einlassen kann. Da sind wir wieder bei „Waldbaden mit Anleitung“. Wenn jemand in den Wald geht, geht er tatsächlich in eine Umgebung, die für ihn gemacht ist. Zunächst sehen das viele Leute nicht, sind aber unglaublich erstaunt, was alles im Wald zu sehen ist. Von irgendwelchen Blumen oder von Früchten, die im Wald sind und die man sogar essen kann. Und wenn so jemand aus dem Wald herausgeht, hat er eine wichtige Erfahrung gemacht. Nämlich erst mal die: „Das ist eigentlich mein Lebensraum hier“. Und die andere ist zum Geldverdienen. Und die zweite ist: „Ich bin Teil des Lebensraumes“. Ich kann mich so verhalten, dass ich Tiere sehen kann, dass ich eine Weile herauskomme, dass ich Zusammenhänge entdecken kann. Und das führt natürlich, wenn man es jetzt medizinisch runterbrechen kann, immer zu einer Absenkung des Cortisolspiegels. Und damit ist natürlich die Grundvoraussetzung für Glück erst mal geschaffen. Denn jemand, der unglaublichen Stress hat, der kann erst mal gar kein Glück erfahren. Er würde es nicht sehen können.
Ganz pragmatisch – wenn ich das ausprobieren will, welche Eigenschaften sollte der Wald haben, in dem ich „Waldbaden“ möchte? Brauche ich einen speziellen Wald? Kann ich auch einen Park nehmen in der Stadt?
Das ist immer eine große Frage. Ich bin ja auch Achtsamkeitstrainer und deswegen sage ich, der Wald, der da ist, das ist der richtige. Wenn jemand sich erst mal 2 Stunden auf den Weg machen muss, über die Autobahn brettern, mit Stau und allem möglichen, um dann eine Stunde waldzubaden und wieder zurückzubrettern – das hätte ja gar keinen Effekt. Deswegen denke ich, dass jeder in dem Wald, in dem er ist, richtig ist. Ich mache bspw. ein Waldbaden-Seminar in einem Park, da stehen 25 Bäume und das sind die, die da sind. Und ich glaube, dass man natürlich schönere Effekte vielleicht erzielen könnte, wenn Tiere dort herumlaufen. Aber das ist ja nur der eine Fokus, den man haben kann. Man kann den Fokus auch auf ganz andere Dinge richten. Eben auf die Tiere, die üblicherweise in so einem Park zu finden sind.
Du bist ja jeden Tag draußen und mit Natur und Wald verbunden. Was machst Du am Wochenende, wenn Du hauptberuflich waldbadest?
Das letzte Wochenende war ich drei Tage wandern. Tatsächlich bin ich jedes Wochenende einen Tag im Wald. Einen Tag mache ich mit meiner Frau, oder meine Frau mit mir, je nachdem wie man es sehen will, etwas Schönes. Eine Städtereise oder Ausflüge oder so. Und einen Tag bin ich im Wald. Entweder wandern oder ich mache irgendetwas Schönes. Ich habe mir aus Ästen eine Bude gebaut, wo ich gerne hingehe. Einen Tag bin ich immer im Wald – aber dann ganz für mich allein.
Vielen Dank für das Interview!
Stefan Alberts ist Fachkrankenpfleger, Wildnispädagoge und zertifizierter Wanderführer und hauptberuflich den ganzen Tag mit den Patienten der LWL-Klinik Hemer, Hans-Prinzhorn-Klinik, im Wald unterwegs.
Zum Thema Waldbaden noch was auf die Ohren: Waldbaden für ein starkes Immunsystem und gegen Stress. Eine gute Zusammenfassung zum Thema Waldbaden.
Die Sehnsucht nach Natur ist voll im Trend. Bereits 2016 zählte die Natur laut Werte-Index zu den Top 5-Werten der Deutschen. Welche Chancen für Unternehmen und Marken darin stecken, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.