Letzte Woche schrieb ich einen Blogbeitrag über das Führungsbewusstsein des Krisenmanagers. Darauf meldete sich Rainer Berthan, Vorstandsvorsitzender der Bauerfeind AG in Zeulenroda-Triebes und krisenerfahrener Manager, bei mir. Wir telefonierten und ich fragte ihn, ob er bereit sei, aus – leider – aktuellem Anlass seine Praxiserfahrungen zum Krisenmanagement mit uns zu teilen. So entstand dieses spannende Interview, das ich in zwei Teilen hier im Blog veröffentliche.
Diese Themen findest du in diesem Blogartikel
Rainer, die erste Krise hast Du 2000 erlebt. Kurz auf den Punkt gebracht, was war der Auslöser und die Besonderheiten dieser Krise?
Auslöser war damals die Entscheidung großer amerikanischer Investmentbanken, die Telekommunikationsprojekte wegen der entstandenen Klumpenrisiken nicht weiter zu finanzieren. Das Platzen der Dotcom Blase war gerade passiert.
Für alle in der Telekommunikationsindustrie kam das aus heiterem Himmel und hat die Branche damals mitten im Boom erwischt. Von einem Moment auf den anderen von Vollgas auf Vollbremsung. Andere Krisen haben einen schleichenden Verlauf, doch hier war das Besondere ein extrem abrupter Veränderungsprozess.
Was hast Du damals für Dich gelernt?
Ich war damals Vorsitzender der Geschäftsführung eines Unternehmens und einer Unternehmensgruppe mit rund zweieinhalbtausend Mitarbeitern in einem großen deutschen Konzern. Meine Lernerfahrung war, die neue Lage schnell zu akzeptieren, alles Handeln darauf einzustellen und die Mitarbeiter und die Führung dabei mitzunehmen.
Das Akzeptieren der neuen Situation ist die Herausforderung. Alles woran man bis gestern geglaubt hat, ist plötzlich Makulatur. Da redet man sich erst einmal ein, dass das, was man sieht, gar nicht sein kann. Aber die innere Akzeptanz der neuen Situation ist die Voraussetzung für schnelles und konsequentes Handeln. Ohne die innere Akzeptanz kein Handeln, und es droht der Verlust der Führung.
Das nenne ich heute die Phase 1 einer Krise. Sie zeichnet sich durch das Nicht-wahrhaben-Wollen aus. Je länger man in dieser Phase steckenbleibt, desto mehr Handlungsoptionen verliert man.
Ich hatte damals das große Glück, dass einer der Konzernvorstände mich mal beiseite nahm und sagte, Sie sind doch noch nicht so alt, Sie haben so etwas sicherlich noch nicht so erlebt. Er bot mir an, mir als erfahrener Restrukturierer zur Seite zu stehen. Die Hilfe habe ich gerne in Anspruch genommen. Das war Gold wert, er hat mich damals ins Krisenmanagement eingeführt.
Die Lernerfahrung war also: Akzeptiere es, auch wenn es Dir nicht gefällt, und achte darauf, deine Mitarbeiter und Führungskräfte mitzunehmen. Sonst geschieht nachher nichts. Allein kannst Du das Ruder nicht herumreißen.
Heute hilft mir mein Phasenmodell. Ich weiß, wo ich stehe und was in der jeweiligen Phase am wichtigsten ist, um die notwendige Wirkung zu erzeugen.
Mitunter ist auch die Wahrnehmung einer Krise in einer Unternehmensgruppe sehr unterschiedlich. Wenn wir die aktuelle Krise anschauen und uns mal kurz zurückversetzen: Als in China die Krise schon massiv war, hat der Rest der Welt geglaubt, er ist nicht betroffen. Als Italien … usw.! Heute glaubt das keiner mehr. Die aktuelle Krise lief wie eine Welle durch internationale Unternehmens-gruppen. Wer westlicher vom Problem war, meinte, es geht an ihm vorbei. Er war eben noch in der Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens und daher oftmals nicht bereit, rechtzeitig zu handeln.
Die zweite Krise hast du 2008 erlebt. Was war da der Auslöser und die Besonderheit für das Unternehmen?
Diese Krise habe ich in einem großen deutschen Maschinenbau-Unternehmen erlebt, mit weltweit einigen tausend Mitarbeitern und vielen produzierenden Tochtergesellschaften. Damals war es eine eher schleichende Annäherung der Krise. Als Spät-Zykliker war die Brache erst spät betroffen. Die anderen sind schon in der Krise, aber die eigenen Geschäfte laufen immer noch ganz passabel.
Da fällt es schwer, sich konsequent auf Krise einzustimmen. Und dann ist sie eben doch plötzlich da!
Was hast Du von dieser Krise für Dich mitgenommen?
Auch da gab es wieder diese Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens. Und den Moment, ab dem die Erkenntnis unabwendbar ist. Der Beginn der Realisierungsphase: nun ist es eindeutig, ich muss es akzeptieren und zur Kenntnis nehmen. Ein unangenehmer Moment.
Nach diesem Moment wird deutlich, dass Menschen ganz unterschiedlich damit umgehen. Manche reagieren introvertiert, andere mit Aktionismus. Beides ist gefährlich. Bei den einen merkt man vielleicht nicht rechtzeitig, was passiert, die anderen sorgen für zusätzliche Hektik und machen andere dabei fast verrückt. Weil so viel gleichzeitig passiert, kann leicht etwas Bedeutendes übersehen werden. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es auch noch alle Spielarten.
Hier hilft nur Kommunikation. Ein Drittel der Zeit sollte nun für Kommunikation verwendet werden. Wichtig ist nun, auch die anzurufen, die nichts hören lassen, und die wieder zurückzuholen, die schon allen enteilt sind.
Das muss einem klar sein. Man muss darauf achten, die einen zu bremsen und so zu beschäftigen, dass eine geordnete Arbeit herauskommt. Und die anderen dürfen nicht übersehen werden, damit nichts passiert, was entscheidend ist und was man nicht mitbekommt.
Hier geht es zum vorangegangenen Blog über das Führungsbewusstsein des Krisenmanagers.
Die Bedeutung von Kommunikation zeigt auch dieser Blogbeitrag: „Wer versteht, vertraut“.