Eine Pilgerreise auf dem portugiesischen Jakobsweg nach Santiago des Compostela, zusammen mit einer Gruppe von Dachdeckern in Zunftkleidung: Das hat meine Netzwerkkollegin Barbara Beyer gerade erlebt. Warum Dachdecker? Barbaras Bruder leitet einen Dachdeckerbetrieb, in dem sie auch Gesellschafterin ist und dem sie beratend zur Seite steht. Doch darum ging es beim Pilgern gar nicht. Über ihre Erlebnisse unterwegs und ihre Erkenntnisse aus dieser Erfahrung habe ich mit ihr gesprochen.
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Was hat die Pilgerreise für Dich verändert?
Die Erkenntnis, dass ich es nochmal machen würde! Ich hatte zuvor immer gedacht: ich mache das einfach mal, weil so viele davon sprechen. Ich will erleben, welche Beweggründe die Leute haben und in welcher Stimmung sie unterwegs sind. Ich will die Gegend erleben, Galizien, die Strecke, die man geht. Und ich will erfahren, welche Auswirkungen die zwischenmenschlichen Begegnungen und Beziehungen für mich haben.
Und genau das war das Besondere, was mich tief berührt hat: Die Begegnungen mit den Menschen. Nicht nur innerhalb unserer Gruppe, auch außerhalb, mit den Spaniern selbst. Dabei hat natürlich die Zunftkleidung für ein gewisses Aufsehen gesorgt, wir wurden oft deshalb angesprochen. Die Leute waren extrem lieb und freundlich – obwohl ich dachte, da laufend doch Hunderte von Pilgern durch! Es entstanden unglaubliche tolle Begegnungen.
Die Pilgerreise hat bei mir viel bewegt, und ich glaube das kam, weil mein Herz weit geöffnet war. Am ersten Abend haben wir von unserem Organisator ein Kärtchen bekommen und durften einen Spruch wählen. Ich habe gewählt: Wohin du auch gehst, geh mit Deinem Herzen.
Wird diese Pilgerreise Deinen weiteren Werdegang beeinflussen?
Ich würde ja sagen. Ich habe im Vorfeld die Engelskärtchen verteilt, auf meinem stand: Mut. Das hat mir vor Augen geführt, was Mut für mich bedeutet. Mut, diesen Weg zu gehen – dass ich es geschafft habe, hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, aber ich konnte auch Mut und Kraft daraus schöpfen für meinen neuen Weg im Beruf. Ich bin im Moment im Umbruch und stelle mich mit meinem Angebot an meine Kunden neu auf. Darin hat mich die Erfahrung der Pilgerreise bestärkt.
Sie hat auch den Mut bestärkt, die Wege anderer zu begleiten – dass ich das kann und das ich es darf. Als Kind hat mir mein Onkel ins Poesiealbum geschrieben: „Was ich will, das kann ich auch“. Und das habe ich auf dieser Reise intensiv gefühlt. So hat sie definitiv Einfluss auf meinen weiteren Werdegang.
Welche Erkenntnisse nimmst Du noch für Dein Leben mit?
Ich hatte schon vor vielen Jahren für mich die Erkenntnis verankert: „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam“. Das hat mir diese Reise noch einmal bewusst gemacht. Manchmal liegt in der Langsamkeit viel mehr Kraft. Dies nicht nur zu durchdenken, sondern auch wirklich zu erleben, war einen ganz tolle Erfahrung. Das Gehen und vor allem das langsame Gehen, alleine oder in der Gruppe, auch schweigend nebeneinander, hat bei mir sehr viel verankert und verändert.
Eine weitere Erkenntnis oder auch erneute Bestätigung war: Es braucht verdammt wenig, um glücklich zu sein. Das hat beispielsweise die Zunftkleidung bei mir ausgelöst. Ich musste mir nie die Frage stellen, was ziehe ich morgen an. Beim nächsten Mal würde ich mein Gepäck noch mehr reduzieren, ich habe viel nicht gebraucht. Und auch im doppelten Sinne mein Gepäck reduzieren: weniger Gedanken machen, einfach den Weg kommen lassen. Auch wenn ich vielleicht mit einem kleinen Auftrag gehe.
Was meinst Du damit, mit einem Auftrag gehen?
Viele, die mir begegnet sind, hatten so einen Auftrag mit sich. Zum Beispiel drei ältere Damen aus Frankreich, eine war schon 82 Jahre. Sie hatte einen Bypass bekommen und sich vorgenommen, wenn sie dies gut überstand, wollte sie mit ihren Freundinnen nach Camino del Santiago gehen. Das war ihr Auftrag.
Oder die achtjährige Zoe, die wir trafen. Sie war mit ihrer Mama aus Porto losgegangen und schon viele Tage unterwegs. Sie ging den Weg, weil sie mit ihrer Zwillingsschwester nicht mehr auskam und eine Antwort finden wollte, wie sie wieder besser mit ihr auskommt.
Was war dein stärkster Eindruck von dieser Pilgerreise?
Das ist für mich die Offenheit gewesen, und die Gemeinsamkeit. Als ich 8 Monate vorher die Entscheidung getroffen hatte, den Jakobsweg zu gehen, war das mehr so ein Experiment. Fragen, die mich beschäftigen, waren ganz weltliche Dinge: Schaffe ich das, tragen mich meine Füße usw.
Dann hat sich an jedem Tag etwas Neues entwickelt. Eigentlich sind wir durch alle Phasen der Teamentwicklung gegangen, von Forming, Storming, Norming zu Performing. In der Kürze der Zeit hat dieser Weg ein ganz fantastisches Team aus uns geformt.
Unvergesslich ist natürlich der Tag, als wir nach Santiago eingelaufen sind, als gesamte Gruppe. Wir hatten alle eine Gänsehaut, sind mit so einem starken Gemeinschaftsgefühl da angekommen, mit so einer Kraft! Da hat niemandem mehr eine Blase wehgetan, wir haben getanzt und gelacht, es war unglaublich schön.
Was ist jetzt anders als vor der Reise?
Dass wir untereinander Freundschaften geschlossen haben und nicht nur Bekanntschaften. Die Verbindung ist sehr warmherzig und tief. Wir haben viel erlebt und erfahren, viel gelacht und auch miteinander gestritten, wir konnten vergessen und verzeihen. Das ist die Basis für intensive Beziehungen.
Beispielsweise hatte eine Pilgerschwester am Sonntag einen Wettbewerb, ist von Norddeich nach Norderney 8 km geschwommen. Wir waren gedanklich dabei, haben sie angefeuert, haben mitgefiebert und mitgebebt und uns mit ihr gefreut.
Für mich ist dabei die Erkenntnis wichtig, dass es nicht immer das Vordergründige, das Offensichtliche ist, was den Menschen ausmacht. Speziell zwei Menschen aus unserer Gruppe habe ich zum Schluss nochmals ganz anders wahrgenommen. Ihre hohe Feinfühligkeit habe ich erst dann richtig mitbekommen.
Es geht um diese Veränderung – um das, was sich verändern kann. Was kann ein einzelner Mensch verändern, wenn er nur möchte?
Sich auf ganz neue Erfahrung einlassen und Unsicherheit nicht als einen Gegner sehen, sondern eher als eine neue Plattform des Lernens. Ich habe erlebt, dass man vor Unsicherheit keine Angst haben muss, sondern dass sich neue Dinge einfach ergeben.
Mit Sicherheit kann jeder auch einen guten Beitrag leisten, wenn er darauf achtet, den anderen auch verstehen zu wollen. Das haben wir in unser Gruppe erlebt: Wir haben viel miteinander gelacht, das ist ein Austausch auf einer anderen Ebene. Da entsteht mehr an Beziehung als sonst. Im Veränderungsprozess offen zu sein, sich aufeinander einzulassen, das ist, glaube ich, sehr wichtig.
Der Camino war für mich…
Nicht nur eine Veränderung meines Werdegangs, sondern meines WERTEgangs! Diese Gemeinsamkeit, unsere Zugehörigkeit und der Zusammenhalt, was auch durch die Zunftkleidung bestärkt wurde, das hat mir gezeigt, was mir wirklich wichtig ist.
Und ich habe gelernt: Vertraue Dir selbst und Deiner Kraft, genieße den Weg mit viel Leidenschaft!